Sie haben Schreckliches erlebt, die Shoah überlebt und sind 70 Jahre später nach Geislingen zurück gekommen - wunderbare Menschen.
Berta Fischer, verh. Weiss
Sie gab ein persönliches Interview im April 2016, November 2016 und am 28. Dezember 2017:
„Ich bin in der Stadt Rachov, damals CSSR, heute Ukraine, geboren und aufgewachsen. Mein Vater war Vorsteher der jüdischen Gemeinde dort. Am letzten Tag von Pessach wurden alle Juden in einer Schule gesammelt. Von dort wurden wir ins Ghetto Matezalka gebracht und danach nach Auschwitz deportiert. In Auschwitz wurden mein Vater (49 J.) und meine Mutter (51 J). sofort vergast. Ich war nie mehr in Auschwitz nach dem Krieg gewesen. Das konnte ich nicht.
„In meiner Heimat,
da blühen die Rosen“
Dieses Lied mussten die jüdischen Frauen und Mädchen auf dem Weg vom KZ Außenlager zur Arbeit in der WMF singen. Berta kann es heute noch.
Mit meiner Schwester Cecila, die eigentlich erst 12 Jahre alt war, kam ich nach Geislingen ins KZ-Außenlager. Berta hatte die Häftlingsnummer 20.405, Cecilia 20.406. Bei uns waren noch eine Tanta Batia und Golda, sowie die Cousine Batia Pollak verh. Miller in Geislingen. Die Geislinger-Leute sahen uns, wie wir jeden Tag zur Arbeit liefen. Die Arbeitszeit war von 6.00 Uhr bis 18.00 Uhr und von 18.00 bis 6.00 Uhr. Die Schicht wechselte jede Woche. In Geislingen in der WMF waren alle deutschen Arbeiter sehr nett zu uns. Ein Vorarbeiter gab ab und zu der Tante etwas zu essen. Ich bekam nie etwas. Ich machte Revolver, schweißte sie zusammen. Punktschweißen. Persönlichen Kontakt zu Vorgesetzten hatte ich keine. Als ich die Revolver herstellte, dachte ich, dass diese eines Tages verwendet würden um uns umzubringen.
Alle Kapos waren Deutsche, politische Gefangene. Ich hatte sehr großen Hunger. Eines Tages kam ein Wagen mit Kartoffeln. Ich nahm ein bis zwei auf und aß sie roh. Wir bekamen Läuse und Furunkeln wegen dem Essen. Eines Tages stelle ich mich ein zweiten Mal bei der Essensausgabe an. Damit ich anders aussah, nahm ich meine Kopfbedeckung ab. Aber der Kappo erkannte mich und ich habe „gute Schläge“ von ihr erhalten. Sie war eine Kommunistin, von ihrem Aussehen und Verhalten her wusste man nicht, ob sie Mann oder Frau ist. Ein schlimmes Erlebnis im KZ-Geislingen: Einmal wurde im Hof ein Mädchen geschlagen, das ganz nackt war. Wir alle mussten dabei zusehen. An Yom Kippur, dem Versöhnungstag, an dem religiöse Juden fasten, nahm uns die SS alles Essen weg. „Wenn ihr fasten wollt, dann bekommt ihr auch nichts.“
Es gab auch einige schwangere Frauen. Sie verschwanden eines Nachts und wir sahen sie nie wieder. Eine Frau brachte ihr Kind in Geislingen zur Welt. Nach zwei Tagen starb das Baby. Wie? Wir wissen es nicht. Von einem Baby, dass in den Schnee gelegt wurde, und wir zusehen mussten, wie es erfriert, weiß ich nichts. In Geislingen war es besser als in Auschwitz, deshalb war ich dankbar dort zu sein. Gab es Fliegeralarm während wir in der WMF arbeiteten, dann wurden wir in einen Keller gebracht. Eine Krankenschwester im Lager Geislingen, die auch Gefangene aus dem Sudetenland war, mochte Cecilia – sie behandelte sie im Revier in Geislingen. Als wir ins KZ-Außenlager nach Allach kamen, bewahrte diese Pflegerin sie vor dem Weitertransport in die Alpen, „zum Tod“. Dabei wurde ich von Cecilia getrennt. Cecilia wurde in Allach befreit. Aber wir anderen nicht. Wir wurden wieder in Waggons verladen, ca. 1000 Frauen und 2000 Männer. Der Zug fuhr vor und zurück. In Staltach wurden wir befreit. Zwei Tage davor sprang die SS vom Zug runter. Das Rote Kreuz gab uns Lebensmittelpakete. Viele starben, als sie das aßen. Als die US-Armee begann den Zug zu beschießen, meldeten wir uns. Alle Gefangenen küssten den ersten US-Soldaten, den wir sahen. Ein jüdischer Rabbi in der amerikanischen Armee sagte uns, was wir tun sollten. Wir Frauen wurden in einem Hofgut untergebracht und von der US-Armee bewacht, damit wir nicht von der SS gefangen genommen wurden, die sich noch im Wald versteckt hielt. Auf diesem Hof waren wir dann drei bis vier Tage. Danach wurden wir mit Lastwagen nach Landsberg gebracht, wo wir einige Monate in einer ehemaligen SS-Kaserne blieben. Dort bekamen wir Essen, das hergestellt wurde, mit allem, was sie in Landsberg fanden. Die russischen Kriegsgefangene gingen ins Dorf und plünderten.
Von Landsberg aus organisierten die US-Soldaten Trucks, damit jeder nach Hause gebracht werden konnte. Auf Lastwagen wurden wir zunächst nach Pilsen gebracht, von dort per Zug nach Prag. Wir hörten, dass es in Brativlava Geld gibt und wir machten uns auf nach dort. Letztendlich sind wir nach Budapest gefahren. Zuerst einmal kam ich in ein Krankenhaus, weil ich rote Augen hatte. Wir wurden dort von den Ungarn in einer Schule untergebracht. Man streute Stroh auf den Boden und wir mussten dort schlafen. Wir waren enttäuscht, wie die Ungarn uns behandelten.Ein Bruder von mir überlebte in Budapest. Er war blond, lebte wie ein Nazi und warnte Juden. Doch er wurde gefangen genommen, konnte aber fliehen. Ich hatte drei Brüder: Joseph überlebte in Budapest. Philipp: kam nach Mauthausen und starb in Ebensee fünf Tage vor Befreiung. Elieser (Alois) kam nach Buchenwald, er war sehr krank.
Nach dem Krieg wussten wir nicht, wohin. Mit 800 anderen Kindern wurde ich mit meiner Schwester nach England gebracht. Dort lebte ich acht Jahre. Mein Bruder ging nach Israel. Ich kam 1953 nach Israel. Ein anderer Bruder von uns ging nach Australien. Wir Schwestern teilten uns auf. Meine Schwester ging zu meinem Bruder Josef nach Australien und ich zu meinem anderen Bruder nach Israel. So war keiner von uns alleine. Ich war Zahntechnikerin und Dental-Assistentin. Ich heiratete einen Mann, der in Wien im KZ war. Er war ungarischer Jude und hat einen Todesmarsch überlebt. Er war Zahnarzt, Künstler, Maler und starb vor acht Jahren.“ Berta Weiss verstarb im April 2018 kurz bevor sie nach Geislingen zur Einweihung der Gedenkstätte reisen wollte.